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BUNDESWEITER VORLESETAG AM 16. NOVEMBER 2012
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INITIATOR „VORLESETAG IN DER JUSTIZVOLLZUGSANSTALT (JVA) SIEGBURG“ UND VORLESER / VORLESERINNEN
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WIR BETRETEN DIE JVA (Fotos und Texte Ingrid Smolarz)
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BUCHAUSWAHL UND VORLESEZEIT
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GENERAL ANZEIGER BONN, REDAKTION RHEIN-SIEG – Artikel und Foto von Andreas Dyck
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WIR VERLASSEN DIE JVA UND WERDEN VERABSCHIEDET
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INTERVIEW mit Tassilo Niklaus (Leiter Gefängnisbibliothek) von Ralf Siepmann
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1.
BUNDESWEITER VORLESETAG AM 16. NOVEMBER 2012
Die Stiftung Lesen resümiert: DIE ZEIT, die Stiftung Lesen und die Deutsche Bahn bedanken sich herzlich bei rund 48.000 Vorlesern, die freiwillig, unentgeltlich und mit viel Leidenschaft diesen Bundesweiten Vorlesetag zu dem machen, was er ist: Deutschlands größtes Vorlesefest.
2.
INITIATOR „VORLESETAG IN DER JUSTIZVOLLZUGSANSTALT (JVA) SIEGBURG“ UND VORLESER / VORLESERINNEN
Initiator, am Vorlesetag 2012 in der Justizvollzugsanstalt Siegburg vorzulesen, ist Dr. Ralf Siepmann, Kommunikationsberater und Journalist, Indikativ GmbH .
Für seine Idee gewinnt er
Frau Dr. Sylvia C. Löhken, Coach für Wissenschaftskommunikation und Buchautorin, leise Menschen – textATRIUM
und Ingrid Smolarz, WortGewan de
3.
WIR BETRETEN DIE JVA (Fotos und Texte Ingrid Smolarz)
Der Gefängniskomplex wurde im Jahre 1886 als königlich-preußische Strafanstalt eröffnet. (Quelle: Wikipedia)
Das Gebäude ist umgeben von („geschützt“ mit) Stacheldraht.
Uns begrüßt der Büchereileiter Tassilo Niklaus, der die Organisation für das Zustandekommen vor Ort übernommen hatte (an der grünen Oberbekleidung erkennt man das JVA-Personal).
Ein wenig Beklemmung stellt sich bei mir ein durch die Aufschrift ‚Kinder unter sechs Jahren bitte an die Hand‘ nehmen. Die Realität, dass ein Kind hier seinen Vater (reines Männergefängnis) besucht, ist kaum vorstellbar.
Nachdem mehrere Türen auf- und hinter uns wieder abgeschlossen werden, erreichen wir den Zellentrakt (zurzeit 500 Inhaftierte Männer).
Der Weg zur „Kapelle“, wo wir lesen werden, führt über mehrere Treppen ins oberste Stockwerk des Gebäudes.
Die Kapelle, die heute als Vorleseraum genutzt wird, ist ein lichtdurchfluteter, freundlicher Raum. Nach dem Weg durch tageslichtabgewandte Bereiche fühle ich mich nun freier und freue mich auf unsere Aktion und diejenigen, die uns hören wollen.
4.
BUCHAUSWAHL UND VORLESEZEIT
Tschick (Wolfgang Herrndorf), gelesen von Sylvia Löhken, erreichte die Zuhörerschaft offensichtlich. In der zweiten Hälfte der Vorleseaktion wird auf Initiative Löhkens einer der Inhaftierten zum Selber-Vorlesen gewonnen:
… „Wir könnten meine Verwandtschaft besuchen. Ich habe einen Großvater in der Walachei.“ „Und wo wohnt der?“ „Wie, wo wohnt der? In der Walachei.“ „Hier in der Nähe oder was?“ „Was?“ „Irgendwo da draußen?“ „Nicht irgendwo da draußen, Mann. In der Walachei.“ „Das ist doch dasselbe.“ „Versteh ich nicht.“ „Das ist doch nur ein Wort, Mann“, sagte ich und trank den Rest von meinem Bier. „Walachei ist doch nur ein Wort! So wie Dingenskirchen. Oder Jottwehdeh.“ „Meine Familie kommt von da.“ „Ich denk, du kommst aus Russland?“ …
Uns macht die Resonanz auf das Vorgelesene eines klar: In Tschicks Lebensgeschichte finden sich auch hier manche wieder.
Löhken stellt den Autor Wolfgang Herrndorf und sein Schicksal vor. Man begreift, was heutzutage Blogs erzählen können.
Die 19, meist jungen Männer machten außerdem Erfahrung mit folgenden ausgewählten Titeln:
BLUFF! Die Fälschung der Welt (Manfred Lütz) , gelesen von Ingrid Smolarz, mit einem Ausschnitt zu Figuren aus TV-Soaps, die als realer wahrgenommen werden als wirkliche Personen im eigentlichen Leben.
Finks Krieg (Martin Walser) , gelesen von Ralf Siepmann. Ausschnitte zu: Vom Kampf eines geschundenen Bürokraten gegen die Windmühlen des politischen Primats.
Faust eins: Ein Schüler tritt auf (Johann Wolfgang von Goethe) , gelesen von Ralf Siepmann (Mephisto) und Ingrid Smolarz (Schüler)
(mit der Einleitung ‚Wie die Großmutter mir den Faust erzählte.‘ Eine sehr kleine Frau, Peter Henisch)
Schüler: Ich bitt Euch, nehmt Euch meiner an! Mephisto: Da seid Ihr eben recht am Ort … Schüler: Denn, was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen…
Schöne neue Welt, Kolumne ‚White Men Can’t Jump‘ (Alexander Osang), gelesen von Ingrid Smolarz: Im amerikanischen TV sind 4 1/2 Minuten Baseball-Spielzeit identisch mit 45 Minuten eingeschobenen Werbeblocks. – Da verzweifelt ein kleines Mädchen, das deshalb die Teletubbies nicht sehen kann …
Weil Samstag ist (Frank Goosen) , gelesen von Ralf Siepmann. Der rote Faden: Der wahre, der leidende (Fußball-)Fan. Insofern ist zu sagen, Bayern München hat keine Fans, sondern Zuschauer.
Zum Schluss gibt es Applaus aus mehr oder weniger kräftigen Händen. Diese spüre ich, und schaue in freundliche Gesichter, als wir uns verabschieden, und wir Hände schütteln, als wäre das ein ganz normaler Ort, als wären das ‚ganz normale Jungs von nebenan‘. Und ich wünsche jedem einzelnen „alles Gute“ und meine das aus vollem Herzen.
5.
GENERAL ANZEIGER BONN, REDAKTION RHEIN-SIEG – Artikel und Foto von Andreas Dyck
Vorlesetag
Goethe in der JVA Siegburg
SIEGBURG. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg wurde am Freitagabend vorgelesen. 19 Inhaftierte waren in die Kapelle des Gefängnisses gekommen, um Sylvia Loehken, Ingrid Smolarz und Ralf Siepmann zuzuhören. Walser, Loriot und Goethe standen auf dem Programm, und für einen Abend wurde das Gefängnis zur Bühne großer Literatur.
Von Andreas Dyck
6.
WIR VERLASSEN DIE JVA UND WERDEN VERABSCHIEDET
Und dann sind wir wieder draußen, im Vorhof, und es ist unmerklich dunkel geworden. Die Stacheldrahtumzäunung erzeugt ein irrlichtig-beklemmendes Gefühl. Die Gedanken sind bei den Inhaftierten, die wieder zurück in ihre Einzelzellen gegangen sind.
Zwischen Einlass und Ausgang sehe ich dieses Plakat: Straffällige brauchen Ihre ehrenamtliche Hilfe …
Kennen gelernt haben wir während des Vorlesenachmittags eine Sozialarbeiterin, die Schuldnerberatung macht und einen Sozialarbeiter, der Psychologe ist.
Und für die Angehörigen Inhaftierter wird Hilfe angeboten.
Wir werden verabschiedet vom Büchereileiter Tassilo Niklaus. Im Hintergrund ist in Vitrinen Handgefertigtes der Inhaftierten, das gekauft werden kann.
Eine ungeahnte, maunzende Begegnung gibt es: ‚Wir finden NEMO‚
er bleibt zurück in der JVA Siegburg, die sein Zuhause ist.
Was auch vom Tage übrig bleibt: Lesen hinter Gittern bedeutet mehr als ‚Lesen für Dich und mich‘. Von Tassilo Niklaus haben wir erfahren, dass der Neuanschaffungs-Etat für die Bibliothek arg begrenzt ist. Wir lassen einige unserer mitgebrachten Bücher dort –
ein Tropfen auf den heißen Stein.
Wenn Sie etwas für Lesekultur und Bildung für die Inhaftierten tun wollen, schicken Sie doch Bücher an:
JVA Siegburg
Herrn Tassilo Niklaus
Luisenstraße 90
53721 SIEGBURG
Stichwort: Vorlesetag 2012
Wir würden uns sehr freuen!
7.
INTERVIEW mit Tassilo Niklaus (Leiter Gefängnisbibliothek) von Ralf Siepmann
… Auch Menschen in Haft haben einen grundrechtlich verbürgten Informationsanspruch. Ihnen muss daher der Zugang zu Medien ermöglicht werden. Welche Ziele werden dabei unabhängig vom Grundrecht verfolgt? Information, Unterhaltung, Resozialisierung, Bildung?
Tassilo Niklaus: Um alle diese Ziele zu erreichen, wäre ein enormer finanzieller Aufwand erforderlich. Zudem hängt es auch davon ab, welche Art von Insassen eine Haftanstalt hat. Bei Jugendlichen gilt es überhaupt, Interesse am Lesen zu wecken. Hier sind die Strömungen, wie sie „draußen“ herrschen, besonders spürbar. Überwiegend findet passiver Medienkonsum statt. Favorisiert werden das Fernsehen, die CD und die DVD. Man wird wohl immer eine Abwägung treffen und einen Kompromiss suchen müssen zwischen Bildung und Unterhaltung. All unser Handeln dient indes dem Ziel Resozialisierung. …