Abschied und Vermächtnis, Gesellschaftskritik, Literatur, Musik, Oper, Politik, Zeitgeschehen
Schreibe einen Kommentar

Der fliegende Holländer ~ Vertreibung und Flucht in jeder Zeit

Der fliegende Holländer oder Geschichte über Vertreibung und Flucht im 17., 19. und 21. Jahrhundert

Vorgeschichte:

Bernard Fokke, ein findiger Seemann ~ er veränderte den Mast seines Segelschiffes so geschickt, dass er fast immer mit voller Segel-Kraft fahren konnte. So war es ihm möglich, nur halb so viel Zeit von den Niederlanden aus für die Handelsroute zur Gewürzinsel Java zu brauchen. Das bewirkte, dass die Menschen ihn für einen Zauberer hielten. Allerdings nur solange, bis er nicht wieder kam, und sie das des Teufels Werk zuschrieben.

Soweit die Legende aus dem 17. Jahrhundert, die bereits Heinrich Heine 1934 in seiner Erzählung Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski“ im 7. Kapitel mit der Sage des Fliegenden Holländers verarbeitete. Richard Wagner griff auf beides zurück, reicherte an, schmückte aus mit seiner gewaltigen Opern-Musik Der fliegende Holländer.

Diese Fokke-Holländer-Geschichte „verlege“ ich ins 21. Jahrhundert, in die Zeit

der Vertriebenen- und Flüchtlingsströme unserer Tage.

Denn:

Sentas Vater, der Kapitän Daland ist verführbar, „Schlepper“ zu werden.

Doch:

vor der Begegnung mit dem Holländer, der einen Fluch auf sich geladen hat, indem er schwor, das Kap der Guten Hoffnung ~ wenn es sein muss bis zum Jüngsten Tag zu umschiffen (was sich dann so erfüllt), kommt der Steuermann zu „Wort“. Er ist der eine, der „nur“ die eigene Heimat im Sinn hat. Er träumt sich nach Hause zu ihr, die sie sein SEHNSUCHTSORT ist, die Zukunft, die er sich ausmalt in schönsten Tönen „(Mit) Trotz Gewitter und Sturm …“, (Fritz Wunderlich, Tenor), und doch mit dem unausgesprochenen, in Tönen gleichwohl vorhandenem Gedanken, dass dieses erhoffte Glück nicht wahr werden könnte. [Zweifel sät Wagners Musik mitten hinein in diesen Part eindringlich mit dem aufhorchen lassenden Holländer-Motiv]

Denn:

während ihm, dem Steuermann, wach-träumend seine Aufgabe, zu wachen, abhanden kommt, naht die Bedrohung der Ordnung des SEHNSUCHTSORTS, alles Gewachsene in Frage stellend in Gestalt des Holländers. Er, zum Vertriebenen geworden, beklagt sein Schicksal: „Die Frist ist um“ (Simon Estes, Bayreuther Festspiele 1985): „… Dein [des Ozeans] Trotz ist beugsam, doch ewig meine Qual! Das Heil, das auf dem Land ich suche, nie werd ich es finden! …“. Er wünscht sich den ZUFLUCHTSORT.

SEHNSUCHTS- und ZUFLUCHTSORT müssten nicht gleichzeitig divergierendes Miteinander bewirken, hätten die Männer der Orte, die identisch werden würden, harmonisierende Grundwerte …

Holländer-Rettung zeigt sich mit Daland: Auf sein „He! Holla! Seemann! Nenne dich! Wes Landes?“ antwortet der Holländer: „Weit komm‘ ich her … Verwehrt bei Sturm und Wetter ihr mir den Ankerplatz?“ Darauf Daland „Behüt‘ es Gott! Gastfreundschaft kennt der Seemann.

Gastfreundschaft also! Doch zu welchem Preis?

Der Holländer hält nicht hinterm Berg mit seinen Schätzen „kostbare Perlen, edelstes Gestein … dies für das Obdach einer einz’gen Nacht!“

Daland kann es nicht glauben. Und dann kommt es noch besser. Der Holländer: „All meinen Reichtum biet ich dir, wenn bei den Deinen du mir neue Heimat gibst.“ … „Hast du eine Tochter?“

Daland „Fürwahr, ein treues Kind.“ Holländer „Sie sei mein Weib!“Daland: „… Ja! dem Mann mit Gut und hohem Sinn geb froh ich Haus und Tochter hin! …“

Es geht also um eine neue Heimat und eine Frau für’s Leben.

Szenenwechsel:

In Steuermanns SEHNSUCHTSORT finden sich tag-täglich die jungen Mädchen ein, deren Sehnsucht den (ihren) Männern auf hoher See gilt. „… Mein Schatz ist auf dem Meere draus‘, er denkt nach Haus ans fromme Kind …“ (Deutsche Grammophon Gesellschaft: Schellack, Irene Knirlberger (Marie), Chor und Orchester der Württemberg. Staatstheater Stuttgart, Dir.: Ferdinand Leitner]

Und Senta, die seit Kindertagen mit dem übermächtigen Bild des bleichen Mannes im Vaterhaus konfrontiert ist, antwortet der Romantik der Mädchen mit „Johohohe! Johohohe! Johohohe! Johohe! … Doch kann dem bleichen Manne Erlösung einstens noch werden, fänd‘ er ein Weib, das bis in den Tod getreu ihm auf Erden!….“ (Anja Silja als Senta) ~ ihr Mantra immer wieder ~ die Bann-Lösung anbietend: „…Ich sei’s, die dich durch ihre Treu‘ erlöse! Mög‘ Gottes Engel mich dir zeigen! Durch mich sollst du das Heil erreichen!“ Senta also ist die GUTMENSCHIN, die MITFÜHLENDE, die EMPATHISCHE, die nicht fragt nach Ursache und Sein, HEILSBRINGERIN will sie sein, verliert sich in einem Rausch ohnegleichen.

Erlösungsmotiv von Senta: Doch kann dem bleichen Manne Erlösung einstens noch werden,

So tranceartig findet Erik sie vor, Erik, sich mit Senta verbunden glaubend, ein Liebender, der ihre kindliche Schwärmerei als Bedrohung eines gemeinsamen Glückes empfindet „…Mein Herz, voll Treue bis zum Sterben, mein dürftig Gut, mein Jägerglück; darf so um deine Hand ich werben? Stößt mich dein Vater nicht zurück? Wenn dann mein Herz im Jammer bricht, sag, Senta, wer dann für mich spricht?“ und eindringlicher „O, höre mich zu dieser Stunde, hör‘ meine letzte Frage an: wenn dieses Herz im Jammer bricht, wird’s Senta sein, die für mich spricht?“ …worauf sie ihm, die Dramatik der Situation nicht erfassend entgegnet: „…Ich bin ein Kind und weiß nicht, was ich singe. O sag‘, wie? Fürchtest du ein Lied, ein Bild? …“ Jorma Silvasti als Erik, Cheryl Studer als Senta, (26.7.1999, Bayreuth, Festpielhaus, Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele, Peter Schneider: Dirigent)

Darauf folgt die Gegenüberstellung von Holländer und Senta, die der Vater, Daland (Kurt Moll, Bass), steuert. Er zieht alle Anpreisungs-Register, dass der Handel „Tochter gegen neuen Reichtum“ gelingt.

zum Holländer: „Sagt, hab‘ ich sie zu viel gepriesen? Ihr seht sie selbst – ist sie Euch recht? Soll ich von Lob noch überfließen? Gesteht, sie zieret ihr Geschlecht?“

zu Senta: „Sieh dieses Band, sieh diese Spangen! Was er besitzt, macht dies gering. Muss, teures Kind, dich’s nicht verlangen? Dein ist es, wechselst du den Ring.“

Der Holländer und Senta, alleine (Daland hat sich zurückgezogen), erklären sich ~ zuerst er allein, dann Duett mit Senta bis zum Treueschwur bis in den Tod (Holländer: Norman Bailey, Senta: Janis Martin, Conductor: Georg Solti & Chicago Symphony Orchestra)

Holländer: „Die düstre Glut, die hier ich fühle brennen, sollt‘ ich Unseliger sie Liebe nennen? Ach nein! Die Sehnsucht ist es nach dem Heil: würd es durch solchen Engel mir zuteil!“

Senta: „Die Schmerzen, die in meinem Busen brennen, ach‘, dies Verlangen, wie soll ich es nennen? Wonach mit Sehnsucht es dich treibt – das Heil, würd‘ es, du Ärmster, dir durch mich zuteil!“

also nicht Liebe, sondern Heil ist die Kraft, die verbindet. Senta entscheidet sich ~ oder ist stimmiger zu sagen: es entscheidet sich in ihr ~ für das FREMDE (den Holländer) und nicht für das VERTRAUTE (Erik).

 

Die Begegnung gipfelt in diesen Versprechen:

Holländers Bedingung: „Du könntest dich für ewig mir ergeben, und deine Hand dem Fremdling reichtest du? Soll finden ich, nach qualenvollen Leben, in deiner Treu‘ die langersehnte Ruh‘?“

Senta: „In meines Herzens höchster Reine kenn‘ ich der Treue Hochgebot. Wem ich sie weih‘, schenk‘ ich die eine; die Treue bis zum Tod. … Von mächt’gem Zauber überwunden reißt mich’s zu seiner Rettung fort. hier habe Heimat er gefunden, hier ruh‘ sein Schiff in sich’rem Port!“

und schlussendlich

Senta: „Hier meine Hand! Und ohne Reu‘ bis in den Tod gelob‘ ich Treu‘!“

Holländer: „Sie reicht die Hand! Geprochen sie Hohn, Hölle, dir durch ihre Treu‘!“

Zwischenbetrachtung:

Die Leitfiguren, entweder verblendet, ausgehebelt, oder besitzergreifend, sind nicht (mehr) verbunden mit den anderen in der Heimat. Lediglich mit den eigenen Wünschen und (Un)Zulänglichkeiten beschäftigt, wird auch ihnen die Herrschaft“ über ihr Ureigenstes entgleiten. Denn:

Der Bann, bar jeder Realität, nimmt seinen Lauf und Eriks Befürchtung bekommt reale Nahrung. Derweil wird das Willkommensfest gefeiert und die Mädchen an Land und die Matrosen Dalands versuchen, mit den UnToten auf dem Schiff des Holländers Kontakt aufzunehmen, wobei die Matrosen des Holländers zuerst ihren Gesang anstimmen, sich das Anfangsmotiv der Daland-Matrosen zu eigen machend

der Kontakt kommt nicht wirklich zu Stande: „Wahrhaftig, sie sind tot:

sie haben Speis‘ und Trank nicht not! Sie trinken nicht, sie singen nicht; In ihrem Schiffe brennt kein Licht. Sie sind schon alt und bleich statt rot! Und ihre Liebsten, die sind tot!

He! Seeleut‘! Seeleut‘! Wacht doch auf!. Habt ihr keine Brief‘, keine Aufträg‘ für’s Land?

Unsern Urgrossvätern wir bringen’s zur Hand! Sie sind schon alt und bleich statt rot!

Und ihre Liebsten, ach, sind tot! Ihr Mädel, lasst die Toten ruh’n; Lasst’s uns Lebend’gen gütlich tun! Lieb‘ Nachbarn, habt ihr Stimm‘ und Sprach‘, so wachet auf und macht’s uns nach! …“

 

die Matrosen des Holländers, also die Fremden, antworten nun doch ~ sie hoffen auf Erlösung in einer neuen Heimat auch für sich: „In die Bucht laufet ein! Schwarzer Hauptmann, geh ans Land! sieben Jahre sind vorbei! Frei‘ um blonden Mädchens Hand! Blondes Mädchen, sie ihm treu‘!“

Und Erik wird des Verhängnisses gewahr, „… O des Gehorsams, blind wie deine Tat! Den Wink des Vaters nanntest du willkommen, mit einem Stoss vernichtest du mein Herz! …“

und er erinnert Senta an ihr Gelöbnis:

„Welch hohe Pflicht? Ist’s höh’re nicht zu halten, was du mir einst gelobtest, ewige Treue?“

Senta: „Wie? Ew’ge Treue hätt‘ ich dir gelobt?“

Erik: „… Als sich dein Arm um meinen Nacken schlang, gestandest du mir Liebe nicht aufs neu‘? Was bei der Hände Druck mich hehr durchdrang, sag‘, war’s nicht Versich’rung deiner Treu‘?“

Der Holländer wird Zeuge dieser Aussprache und zieht die Konsequenz, und sich zurück: „Verloren! Ach! verloren! Ewig verlor’nes Heil! … Zahllose Opfer fielen diesem Spruch durch mich! du aber sollst gerettet sein! Leb‘ wohl! Bahr‘ him, mein Heil, in Ewigkeit!“

Mary, Erol, Daland und alle anderen wollen Senta zurückhalten: „Senta! Senta! Was willst du tun?“

Von Senta aber nimmt der BannWahn weiter Besitz, sie lässt alle und alles hinter sich …

„Preis‘ deinen Engel und sein Gebot!

Hier steh‘ ich, treu dir bis zum Tod!“ (6:00 in der Aufnahme)

TOD ~ der letzte ZUFLUCHTS- und SEHNSUCHTSORT welch‘ tragisches ENDE

~

Quellen:

Librettoauszüge ~ kursiv und in „: Opera-Guide, Schweiz

Der fliegende Holländer: Oper von Richard Wagner

Richard Wagner, Wikipedia

Der fliegende Holländer, Premier Oper Bonn, 27. September 2015 und weitere Termine

Der fliegende Holländer,
Premieren-Besprechung auf Opernnetz.de, Ralf Siepmann
Der fliegende Holländer_20150927_Bonn_Wir sind Erik

~

wer Senta noch gewesen sein könnte, ein weiterer Beitrag auf poetry-sights.de : Senta wer ist Senta

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert