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MARIA ~ Oratorische Oper in 13 Oden des Komponisten FLORIN

Der Dom zu Roskilde in Dänemark bot am 2. November 2014 den „13 Oder til Maria“, Oratorische Oper des Komponisten FLORIN, die kongeniale Kulisse

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DAS OPERNGLAS (J. Müller / I. Nofé – Text und Fotos) berichtet:

 

URAUFFÜHRUNG IN ROSKILDE

Über und vor den Sarkophagen dänischer Könige im Dom zu Roskilde auf Seeland streiten im Halbdunkel tanzende Geister der Todsünden und Tugenden um die Seele einer verzweifelten Frau, der eine weibliche Gottheit, genannt Maria, zur Hilfe kommt. Es ist ein modernes Mysterienspiel in einer Welt voll von Kriegen und menschlichen Katastrophen, eine musikalische „Einweihung“, ein (weiblicher) Parsifal auf der leidvollen Suche nach dem Gral. „Ave, Maria, tu est Gral“ – so klingen die letzten Worte der oratorischen Oper, >>13 Oder til Maria< < (13 Gesänge an Maria), die als eine Apotheose des Weiblichen gedacht ist, szenographisch dargestellt als das lebende Bild einer marienhaften Königin der Nacht mit den tradierten Symbolen von Kelch, Schwert, Bischofsstab, Reichsapfel, blauem Schutzmantel, Sternenwelt und Himmelskrone.

Sananda Solaris, die Gründerin des neuen „Teater Solaris“, eines Ensembles für experimentelles, internationales Musiktheater, hat das Libretto verfasst, das den Komponisten Heinz Walter Florin, bekannt auch als Pianist, Filmmusiker und Dirigent, zu einer magischen Vertonung inspiriert hat. Die Zusammenarbeit dieser beiden Künstler wiederum hat die Sopranistin Lisa Tjalve arrangiert, die zusammen mit Florin gerade den Echo-Klassik-Preis für ihre jüngste CD (Mahler, Schönberg, Berg) verliehen bekommen hat. So konnte der Komponist, der Tjalves unglaubliche Wendigkeit, ihre präzise Diktion und lyrische Innigkeit, sowie ihre in allen Registern voluminöse Strahlkraft seit langem kennt, die anspruchsvolle Rolle auf sie zuschneidern und sie auch mit seinem Dirigat zu szenischer Brillanz und dramatischer Sicherheit geleiten.

Tjalves Alter Ego auf der Bühne war als Erzählerin Nukaka Coster Waldau, die melodramatisch die Gedankenmonologe der Suchenden über den Klangteppich platzierte, wild, expressiv, voll von Passion. Beide Künstlerinnen mit ihrer jeweils starken Ausstrahlung agieren zu sehen, war eine Augenweide. Den Blick geisterhaft starr auf die Zuschauer in der Längsachse des Kirchenschiffes gerichtet, zog das Vokalensemble des Teater Solaris ein. Unter den acht gut aufeinander abgestimmten Solisten sind besonders Rigine Frederiksson (Sopran) und Simone Rønn (Alt) hervorzuheben, da sie nicht nur die Dämonenwelt leidenschaftlich bedrohlich anführten, sondern auch ihre vokale Präsenz überzeugte.

Ein Kammertrio, bestehend aus Cello, Oboe/Englisch Horn und Harfe (Tittit van der Pals, Elizabeth C. Gibbs, Miriam Klein Strandberg) vermochte in seiner Wirkung ein ganzes spätromantisches Orchester zu ersetzen. Geschminkt und in ebenso grau-schwarze Fetzen gekleidet wie der Dämonenchor heizte es das Geschehen an, bisweilen stark rhythmisierend, dann wieder sehr zart berührend, besonders in den Piano-Partien der Oboe. Die Entscheidung Florins, genau diese Instrumente zu wählen, war stimmig. Stehen sie doch in der Tradition der Musikgeschichte häufig für die weiblichen Anteile des Menschen, denkt man etwa an die Musik für Opernfiguren wie die >>Freischütz< <-Agathe, Senta, Brünnhilde oder die Bedeutung des Englisch Horn im >>Tristan< <.

Sananda Solaris‘ Regie forderte dem Zuschauer allerdings viel ab, denn schon ihr Libretto enthält letztlich keine Handlung, sondern lediglich freie gebetsähnliche Assoziationen zu den sieben Todsünden und den sieben Tugenden. Deren Verknüpfung zur Bühnenaktion verlangte Konzentration. Diese 14 menschlichen Haltungen wurden dann zu einer schlichten Lichtregie, hell-dunkel, rot-blau, und sparsamsten choreografischen Andeutungen über die Musik gelegt. Eine Textprobe aus der Apotheose:

„Strahlende Sterne, Kronen, Könige, die Welt darüber,

der Gral und der Bogen, die sieben Strahlen schlafen nie,

Heiliger Wein,

heiliges Blut,

Drachenbezwingerin

Wahrheitsschwingen.

Mutter der schwarzen See. Königin der großen Katze.

Mutter der Morgensonne und der Mondnacht.“

… mehr in der Ausgabe DAS OPERNGLAS, 35. Jahrgang, Dezember 2014, Nr. 12, IM BLICKPUNKT URAUFFÜHRUNG IN ROSKILDE, S. 50/51

 

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Der Komponist FLORIN mit Partitur FLORIN_201410

 

 

 

 

 

 

Vorberichterstattung mit Hintergrundinformation auf der Onlineplattform OPERNNETZ

Hoffnungsschimmer im Dom

In Deutschland sind neu komponierte Opern im Vergleich zu den Gesamtaufführungen eher rar gesät. In Dänemark sieht es kaum anders aus. Im November steht die Uraufführung immerhin einer Kammeroper an. Anlass genug, diese Oper vorzustellen und einen Blick auf die dänische Musiktheaterszene zu werfen.

Dänemark ein Opernland? Natürlich, werden viele Kenner sagen. Und dann fällt der Name des Tenors Helge Rosvaenge. Der in Kopenhagen geborene Ausnahmesänger machte in Deutschland und Österreich Karriere und starb 1972 in München. Oder Sopranistin Inga Nielsen wird angeführt. Die in Holbæk bei Kopenhagen geborene Sängerin eroberte nach einigen Jahren als festes Ensemblemitglied der Oper Frankfurt mit Koloratur- wie dramatischen Partien die großen Bühnen und bedeutendsten Festspiele der Welt, darunter Bayreuth und Salzburg. Sie starb 2008 in ihrer Heimat. Manche nennen auch den dänischen Komponisten Carl August Nielsen. Sein bekanntestes, 1925 uraufgeführtes Werk, die Komische Oper Maskerade, schaffte es weltweit in die Spielpläne, so 2005 in das Festspielhaus Bregenz oder 2012 auf die Bühnen des Theaters Krefeld Mönchengladbach.

Die Gegenwart der Oper und des Musiktheaters in Dänemark dürfte dagegen für die meisten Liebhaber des Genres eine terra incognita sein. Eine, die es genau weiß und auch die Brücke des Vergleichs zu Deutschland schlagen kann, ist die Sängerin Lisa Tjalve. Aufgewachsen in Kopenhagen und dort von dem dänischen Dirigenten Tage Mortensen entdeckt, hat sie sich nach ihrem Studium und drei Jahren Praxiserfahrung als festes Ensemblemitglied am Theater Lübeck als gefragte Opern-, Konzert- und Liedsängerin in der deutschen und internationalen Szene etabliert. „Die Oper in Dänemark“, sagt die in Berlin lebende und dort häufig auftretende Sopranistin, „hat es zur Zeit genauso schwer, wie es sich in vielen anderen europäischen Ländern beobachten lässt.“

Kleines Umfeld für große Oper

Genauer betrachtet, ist ihr Statement wohl eine charmante Untertreibung. Tatsächlich ist das kleinste der skandinavischen Länder, vor allem gemessen am großen und wichtigsten Nachbarn Deutschland, ein Opernstandort mit unbestreitbaren strukturellen Nachteilen. Der Markt ist bei knapp fünfeinhalb Millionen Einwohnern klein, die Lebenshaltungskosten sind zumal in den Städten extrem hoch, auch wenn der Durchschnittsdäne deutlich besser verdient als der vergleichbare Bürger in Deutschland. Die Zahl der Opernhäuser ist an den Fingern einer Hand abzuzählen. Außerhalb Kopenhagens gibt es mit Aarhus und Aalborg gerade noch zwei Städte, in denen Musiktheater existieren. In Dänemarks einziger größerer Stadt im Norden sichert das Symphonieorchester Aalborg Opern- wie Ballett-Aufführungen. Die Jütland Opera mit Hauptsitz in Aarhus lässt neuerdings durch innovative Produktionen aufhorchen. Sie bringt Mitte November La Bohème heraus und tourt ab März mit der Puccini-Oper durch das Land. Damit erfüllt sie einen staatlichen Kulturauftrag für die Fläche, vergleichbar den Landestheatern in manchen deutschen Regionen.

Weltweit Furore machte das Opernland Dänemark 2005 mit der Eröffnung des rund 340 Millionen Euro teuren Neubaus der Königlichen Oper auf Kopenhagens einstiger Militärinsel Holmen. Das Gebäude mit seiner außergewöhnlichen Architektur ist ein Geschenk des dänischen Reeders A. P. Møller an die Stadt. Dieses Sponsoring, betont Tjalve, sei aber eine große Ausnahme gewesen. „Das Geschenk hat nicht nur Gutes mit sich gebracht“, sagt sie im Rückblick auf die Erfahrungen der letzten Jahre. Es sei im kleinen Dänemark eben schwierig, auf Dauer die Qualität an mehreren großen Bühnen eines Ortes zu sichern. Wagner und die Barock-Oper genössen eine hohe Akzeptanz beim dänischen Publikum und seien häufiger auf dem Spielplan zu finden, erzählt die Künstlerin. Hingegen habe es die zeitgenössische Musik schwer, hätten junge Komponisten und Sänger um Aufträge und Förderung zu kämpfen. Zum Glück gebe es Stiftungen, die sich auf diesen Feldern engagierten.

Kammeroper in sakraler Szenerie

Neues Leben will nun die Komposition 13 Oder til Maria. Oratorische Oper der dänischen Opernkultur einhauchen. Sie wird Anfang November dieses Jahres in der dänischen Königskirche, im Dom zu Roskilde, uraufgeführt und anschließend weitere zwei Mal zu erleben sein, kurz darauf in der Heilig-Geist-Kirche am Strøget und in der Sankt-Marien-Kirche in Helsingør.

Inspiration und Kreation, Idee und Stoff stammen von einer deutsch-dänischen Künstlergruppe, die über Projekte in der Praxis und ein bilaterales Netzwerk zueinander gefunden hat. Der Deutsche Heinz Walter Florin – Dirigent, Arrangeur, Pianist und Chorleiter – ist der Komponist, die dänische Regisseurin Sananda Solaris, in Opernkreisen auch unter dem Namen Veronika Kær ein Begriff, die Librettistin. Dritte im Bunde ist Tjalve, die den tragenden Part der einzigen Solistin übernimmt. Räumlich ist das Gut Sonnerupgaard auf Seeland Nukleus und Refugium des Projekts, dessen Besitzerin Birgitte Israelsen es unterstützt.

Florin hat die Musik zu 13 Oder til Maria. Oratorische Oper auf historische, insbesondere biblische Texte komponiert, die sich in dänischer Sprache um die Thematisierung der Himmelskönigin und Gottesmutter Maria zentrieren. Insbesondere, ist er sich sicher, werde die Komposition „ jeden faszinieren, der sich intensiv mit der Rolle der Frau als Ikone der Weiblichkeit, als Schöpferin von Leben und als Hüterin von Liebe und Hingabe auseinandersetzt “. Ausgeführt wird die Partitur – abgesehen von der Solistin – von einem Kammertrio sowie einem gemischter Chor. Die Instrumente sind Harfe, Cello und Oboe/Englisch Horn. Die in Dänemark populäre Sängerin und Schauspielerin Nukaaka Coster-Waldau, die aus Grönland stammt, tritt als Erzählerin auf.

So subtil die kammermusikalische Dimension und die behutsame szenische Fassung, so beeindruckend voraussichtlich die Wirkung des Opern-Oratoriums im Raum. Florin sagt mit Blick auf den Ort der Uraufführung, von der Unesco in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen, ein elementares Erlebnis für alle Besucher voraus. Der besondere Reiz des Werks liege in der Allianz von Komposition, Stoff, Szene und Kirchengewölbe.

Mit Kompositionen, die auf emotionale Wirkung hin angelegt sind, ist der in Bonn geborene und im Rheinland lebende Vollblutmusiker bestens vertraut. So schrieb er die Arrangements für zahlreiche Programme und CD-Produktionen diverser Rundfunksender, orchestrierte und dirigierte große Fernseh- und Filmproduktionen, zum Beispiel Das Wunder von Lengede und Der kleine Dodo. Florin steht wie wenige für musikalische Kompetenz in einem breiten Spektrum. Er dirigierte unterschiedliche Radiosinfonieorchester sowie die Nürnberger Symphoniker, agiert als Chefdirigent der Elblandfestspiele Wittenberge, die jährlich in Zusammenarbeit mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg und dem Deutschen Filmorchester Babelsberg stattfinden. Mit Tjalve ist Florin als Pianist bei gemeinsamen Liederabenden on stage, einer der Hintergründe der aktuellen Kooperation. Ihre erste gemeinschaftliche CD mit Liedern von Berg, Schönberg und Mahler ist ein weiterer Ausdruck dieser künstlerischen Liaison.

Solaris oder Kær, die Dritte im grenzüberschreitenden Bunde, ist mit Inszenierungen am Königlichen Opernhaus Kopenhagen bekannt geworden, zuletzt mit der Bühnenrealisierung von Benjamin Brittens Der Raub der Lucretia. Ambitionen verfolgt sie mit ihrem Teater Solaris.

Potenzial für große Oper

Die deutsch-dänischen Fäden könnten nach dem gemeinschaftlichen Erstling mit 13 Oder til Maria Oratorische Oper irgendwann einmal in einem Projekt zusammenlaufen, das Opernfans diesseits und jenseits der Grenze anspricht. Die Vision: ein Klassik- und Opernfestival in Ergänzung zu jenem seit 1971 jährlich stattfindenden Musikfestival bei Roskilde, das mit seinem Fokus auf Rock, Pop, Metal, Electronic und Weltmusik an jeweils vier Tagen bis zu 120.000 Besucher anzieht. Dänemark, ist Florin überzeugt, verfüge über das erforderliche Potenzial. Am Anfang waren ja immer die Idee, Zuversicht und die Risikobereitschaft weniger, wie man sich erinnern dürfte, ob in Glyndebourne oder Savonlinna, Spoleto oder Bad Wildbad. Und eine Oper ist da nicht der schlechteste Anfang.

Ralf Siepmann, 23.10.2014

http://opernnetz.de/seiten/news/Roskilde_Siepmann_141023.htm

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